No risk, no Verkehrswende: die neue Friedrichstraße in Berlin.

Die autofreie Friedrichstraße in Berlin 2020. (Quelle: Wikipedia)
Seit August 2020 ist ein Teilbereich der Friedrichstraße in Berlin gesperrt. Nun zieht der Berliner Senat im Abschlussbericht ein positives Fazit aus dem Verkehrsversuch und geht sogar noch einen Schritt weiter: Künftig sollen auch Fahrradfahrende auf die Nebenstraßen umgelenkt werden und die Friedrichstraße nur noch für Fußgänger*innen zugänglich sein.

Fast zwei Jahre ist es nun her, dass der Berliner Senat die Sperrung eines Teilbereichs der Friedrichstraße umgesetzt hat. Seit August 2020 ist der Abschnitt zwischen Französischer und Leipziger Straße auf rund 500 Metern für den motorisierten Verkehr gesperrt und nur für Radfahrende und Fußgänger*innen zugänglich. Anfang Mai 2022 ist nun der Abschlussbericht dieses Verkehrsversuchs vorgestellt worden, mit einigen interessanten Erkentnissen, die wir Euch kurz zusammenfassen möchten.

Autoverkehr verlagert sich mit geringerer Intensität in die Nebenstraßen

Die Befürchtung, dass sich der motorisierte Verkehr auf die Nebenstraßen verteilen wird, hat sich teilweise erfüllt. So kritisieren einige Geschäftstreibende in den Nebenstraßen, dass diese zu Anlieferungszonen geworden seien und die Straßen von LKWs blockiert würden. Die Ergebnisse der Datenauswertung zeigen jedoch, dass sich der Verkehr zwar auf die Nebenstraßen ausgelagert hat, jedoch nicht in dem Maße, wie der Verkehr in der Friedrichstraße insgesamt abgenommen hat. Viele Autofahrende umfahren den Bereich Friedrichstraße nun großräumig oder nutzen andere Verkehrsmittel. Das zeigt sich auch in der Luftverschmutzung. Die Luft in der Friedrichstraße ist seit der Sperrung sauberer, in den Nebenstraßen hat sie sich jedoch leicht verschlechtert, sie liegt aber noch deutlich unter dem Grenzwert. 

Mehr Fuß- und Radverkehr auf der Friedrichstraße

Die Ergebnisse zeigen einen deutlichen Anstieg an Fußgänger*innen und Radfahrenden. Die Nutzbarmachung der Straße für den nicht motorisierten Verkehr funktioniert und zieht viele Radfahrende an. Auch Fußgänger*innen nutzen die Straße, jedoch hauptsächlich, um diese zu überqueren. Zwar hat sich die Aufenthaltszeit in der Friedrichstraß erhöht, jedoch sieht Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) noch Verbesserungspotenzial. Der vielbefahrene Radweg verhindere, dass sich Fußgänger*innen auch auf der Straße aufhielten. Für eine Flaniermeile brauche es jedoch diese Zugänglichkeit. Künftig soll aus dem gesperrten Teilbereich daher eine Zone nur für Fußgänger*innen werden und der Radverkehr in die Charlottenstraße umgelenkt werden. 

„Eine Flaniermeile bedeutet, dass Fußgängerinnen und Fußgänger Vorrang haben müssen.“

Bettina Jarasch, Verkehrssenatorin

Ein Wettbewerb, um die Zukunft der Friedrichstraße zu gestalten

Für die künftige Umgestaltung der Friedrichstraße soll ein Wettbewerb ausgelobt werden, der sich an Anrainer*innen, Zivilgesellschaft und Verbände richtet. Wann mit der Umgestaltung begonnen werden soll, ist noch nicht bekannt. Sicher ist aber, dass die Flaniermeile Friedrichstraße mehr Bäume und Sitzgelegenheiten bekommen soll und auch die Absenkung der Bordsteine in Erwägung gezogen wird, um die Straße insgesamt zugänglicher zu gestalten. Der Radverkehr soll auf die Charlottenstraße umgelenkt werden und Autos, Nachtbusse sowie Schienenersatzverkehr überwiegend auf die Glinka- und die Mauerstraße ausweichen.

Kein Verkehrsversuch ohne Kritik

Der Abschlussbericht der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz liest sich insgesamt positiv, aber es gibt auch Kritik in der Bevölkerung und der Politik. So klagt die Inhaberin einer Weinhandlung über den zunehmenden Verkehr in den Nebenstraßen und es gibt Berichte, dass seit der Sperrung der Friedrichstraße 15 Geschäfte schließen mussten und viele Filialinhaber*innen über negative Folgen klagten. Der Abschlussbericht der Senatsverwaltung macht keine Aussagen zu den wirtschaftlichen Auswirkungen des Verkehrsversuchs, da diese nicht hätten evaluiert werden können. Eine Online-Befragung ergab ein gemischtes Bild. 

Ein gewagtes Experiment mit Potenzial

Um klimaschützende Maßnahmen im Bereich der Mobilität zu testen, braucht es Realexperimente wie die Friedrichstraße in Berlin. Über den festgelegten Zeitraum lassen sich so die Auswirkungen der Maßnahmen einschätzen und wertvolle Rückmeldung aller Stakeholder einholen. Solche Experimente sind aber natürlich immer mit Risiko verbunden und Kritik wird es immer geben. Dennoch sind besonders Verkehrsversuche wichtig, weil sie einen Weg in eine klimafreundliche und gesündere Zukunft weisen können.

Auch das unter Mitarbeit von urbanista entwickelte Verkehrsexperiment Ottensen macht Platz stand vor einigen Herausforderungen und musste mit viel Kritik kämpfen. Die wissenschafliche Auswertung des Versuchs ist jedoch deutlich positiv ausgefallen.

Ihr wollt mehr über solche Realexperimente erfahren, was bei der Vor- und Nachbereitung sowie der Durchführung zu beachten ist und wie es gelingt, dass alle Beteiligten am Ende des Projekts zufrieden sind? Dann schaut euch doch gerne das Seminar „Von Hamburg Ottensen lernen: Praktische Erkenntnisse aus einem Verkehrsexperiment“ von Julian Petrin und Philine Gaffron an. Das Seminar findet aktuell nur auf Anfrage statt, schreibt uns bei Interesse gerne ein E-Mail.

Ähnliche Beiträge
  • Blog
Feministische Geographien in Zeiten von Umbrüchen
Vom 28. - 30. April 2022 fand das Symposium des Arbeitskreises Feministische Geographien in Berlin und online statt. An diesen drei Tagen wurde über Machtverhältnisse, feministische Lernpraxen, Partizipation und Raumaneignung diskutiert und durch verschiedene Formate experimentell erprobt.