Feministische Geographien in Zeiten von Umbrüchen

Erschütterungen, Verschiebungen, Umbrüche - Graphic Recording des Netzwerktreffens AK Feministische Geographien © graphicrecording.cool (Johanna Benz)
Vom 28. - 30. April 2022 fand das Symposium des Arbeitskreises Feministische Geographien in Berlin und online statt. An diesen drei Tagen wurde über Machtverhältnisse, feministische Lernpraxen, Partizipation und Raumaneignung diskutiert und durch verschiedene Formate experimentell erprobt.

In Ausnahmezuständen werden Machtbeziehungen und gesellschaftliche Ungleichheiten besonders sichtbar. Die Corona-Pandemie macht erneut die Problematik von Geschlechterrollen und Care-Arbeit deutlich, die Klimakrise und der Krieg gegen die Ukraine machen deutlich, dass deren Auswirkungen nicht alle Menschen gleich betreffen und patriarchale Strukturen noch immer Auslöser solcher Katastrophen und Ungleichheiten sind. Mit dem Titel „Erschütterungen, Verschiebungen, Umbrüche“ greift das diesjährige Symposium des Arbeitskreises Feministische Geographien diese Themen auf.

Das Ziel der Geograph*innen: Leerstände und Wissenslücken füllen

Das Anliegen der feministischen Geographien ist es, zu verstehen, wie sich vergeschlechtliche bzw. intersektionale Machtverhältnisse und Raumproduktion gegenseitig bedingen. Den Geograph*innen geht es darum, auf bisher unberücksichtigte Aspekte hinzuweisen. Ihre Kritik richtet sich vor allem gegen universalisierende Perspektiven, die nicht berücksichtigen, dass Menschen unterschiedliche Perspektiven und Realitäten haben. So lässt sich die Lebensrealität eines weißen Mannes beispielsweise nicht mit der Realität einer schwarzen Frau vergleichen, in der Geographie werden jedoch oft verallgemeinernde Aussagen getroffen, die einen großen Anteil an Menschen ausschließt.

Das Symposium

Drei Tage lang gab es in Berlin und online Vorträge, Workshops, Spaziergänge und Ausstellungen unter anderem zu den Themen Care-Arbeit, grüne Infrastruktur, Netzwerken, Forschung und Wohnen. Die Organisation des Symposiums wurde von einem kleinen Team übernommen, welches jedoch nicht bloß Referent*innen eingeladen hat, sondern auch einen Aufruf gestartet hat, eigene Ideen und Programmformate einzusenden. Dadurch ist ein vielfältiges und spannendes Programm entstanden, dass auch Aspekte thematisiert hat, die im Normalfall womöglich nicht Teil eines solchen Symposiums gewesen wären. Im Folgenden geben wir Dir einen kleinen Einblick in einige der Programminhalte.

„An der Stadt kann man so vieles ablesen!“ © graphicrecording.cool (Johanna Benz)

Third Space Walk

Wie können wir im digitalen Zeitalter in der Stadt flanieren? Wie kann die Flanerie dabei unterstützen, die räumliche Trennung von digital und analog zu überwinden und den dadurch entstehenden „Drittraum“ zu begreifen? Diesen Fragen geht Mirjana Mitrović in ihrer Doktorarbeit „Third Space Walks. Flanerie in virtual and material spaces of cities.“ nach. In diesem Zusammenhang hat sie mit Frauen* in Mexiko-Stadt und Berlin Workshops veranstaltet, in denen die Figur des Flaneurs, wie sie von Walter Benjamin beschrieben wird, aus feministischer und postkolonialer Perspektive betrachtet wurde. Als Ergebnisse sind Essays, Fotografien und Audio-Experimente entstanden, die im August in einer Ausstellung in Berlin gezeigt werden. Im Rahmen des Symposiums hat Mirjana Mitrović einen Einblick in ihre Arbeit und die Ausstellung gegeben.

Hijra Ethnoscapes in Indien

Hijra werden in Indien Menschen des „dritten Geschlechts“ genannt. Das sind Menschen, die sich weder als cis männlich noch als cis weiblich verstehen. In der traditionellen hinduistischen Gesellschaft werden ihnen magisch-religiöse Fähigkeiten zugesprochen, dennoch leben sie in teils prekären Verhältnissen und sind auf Sexarbeit und Betteln angewiesen. Hijras haben einen sehr geregelten Alltag, durch den regelmäßige Bewegungsstrukturen entstehen. Mit Hilfe von partizipativem Cultural Mapping und Community Mapping hat Ina Goel in einem Viertel in Neu Delhi die Bewegungen der Hijras analysiert. Dadurch wurde die geografische Ausgrenzung dieser Menschen deutlich und die Urbanität der Stadt erfahrbar gemacht. Der Vortrag von Ina Geol war ein aufschlussreiches Beispiel für Raumproduktion und die Beziehung zwischen Ort, Raum und Macht.

What does a feminist city look like?

Die Bildungskoordinator*innen der Rosa-Luxemburg-Stiftung Anastasia Blinzov und Adriana Yee Meyberg haben in ihrem Vortrag ihren Entwurf für ein Videospiel vorgestellt, in dem die feministische Stadt vor allem für jüngere Menschen zugänglich gemacht werden soll. In diesem Spiel sollen die Grundbegriffe des feministischen urbanen Diskurses erklärt und die Visionen der Stadt der Zukunft mit Leben gefüllt werden. Was ist eine feministische Stadt und wie kann diese aussehen? Auf diese und weitere Fragen soll das Spiel eine (mögliche) Antwort geben. Das Spiel befindet sich noch in einer frühen Entwurfsphase, in ihrem Vortrag haben Anastasia Blinzov und Adriana Yee Meyberg daher zunächst den aktuellen Stand vorgestellt und dann die Diskussion eröffnet, um weitere Ideen und Voraussetzungen für das Spiel zu ermitteln. Schon der Einblick ließ vermuten, dass das Spiel ein spannendes Tool werden kann, die gerechte Stadt spielerisch erfahrbar zu machen. 

Digitale Lernformate werden zunehmend in unterschiedlichen Bereichen genutzt, da sie viele Vorteile bieten. Besonders in der Corona-Pandemie wurden digitale Lösungen zu einer Notwendigkeit. Dadurch sind spannende Projekte entstanden, wie beispielsweise Lern-Fair (ehemals Corona School), das Schüler*innen mit ehrenamtlichen Studierenden zusammenbringt und so zu mehr Bildungsgerechtigkeit beiträgt. Aber es haben längst nicht alle Menschen Zugang zu digitalen Angeboten. Besonders ältere Menschen fühlen sich dadurch teilweise abgehängt. Dagegen möchte der Verein Wege aus der Einsamkeit e.V. vorgehen und bietet digitale Bildung für Senior*innen an. Diese und weitere spannende Projekte, die das Gemeinwohl fördern, findest Du in unserem Post Corona City Playbook.

cis: Als cis männlich oder cis weiblich werden Menschen beschrieben, die sich mit dem Geschlecht identifizieren, dass ihnen auf Grund biologischer Merkmale bei der Geburt zugewiesen wurde. 

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