Impuls
Urbane Räume neu denken

Während der Corona-Pandemie haben wir den Stadtraum völlig neu erlebt: Gebäude, Flächen, Straßen, Brücken und Grünräume wurden vielerorts wiederentdeckt und belebt, Bestehendes angeeignet und umgenutzt, Exklusives zugänglich gemacht, Privates geteilt.

Der pandemische Alltag erfordert es, urbane Räume neu zu denken. Wie können wir bestehende Räume multicodieren und umnutzen? Wie können wir Orte für mehr Menschen und deren unterschiedliche Bedarfe zugänglich machen? Wie können wir Leerstand bekämpfen? Wie können wir überfüllte Orte entlasten, um sie sicherer, aber auch attraktiver zu machen?

Best Cases

Zitate aus den Interviews

„Jede Stadt muss ihre Flächen gründlich anschauen und analysieren: Welche Funktion hat sie für den Nahbereich, für das Wohnumfeld, für Klimaanpassung oder auch für mehr Wohnraum?“

Marion Klemme

„Die Unternehmen, die jetzt gegründet werden, wollen sich nicht irgendwo in einem monofunktionalen Gewerbegebiet ansiedeln, sondern in einer vitalen, lebendigen Stadt mit Nutzungsmischung. Nicht nur die Medienleute wollen nachmittags in der Umgebung Kaffee trinken oder Mittagessen gehen.“

Dieter Läpple

„Eine Zwischennutzung ist immer zuallererst ein Experiment. Man schaut, was geht, ohne alles vorher festzulegen – man arbeitet prozessual. (…) Und aus dem Temporären kommen dann meistens ziemlich schnell Ideen, wie auch eine Nachnutzung aussehen könnte.“

Amelie Deuflhard

„Meine Vision ist stark geprägt durch die Idee der 15-Minuten-Stadt, wie sie von Anne Hidalgo, der Bürgermeisterin von Paris konzipiert wurde. Also ein polyzentrischer Umbau der Stadt, so dass alle wichtigen Funktionen, die wir im täglichen Leben brauchen, im Laufabstand oder mit dem Fahrrad innerhalb von zehn oder fünfzehn Minuten zu erreichen sind.“

Dieter Läpple

„Wenn man daran denkt, dem motorisierten, privaten Verkehr auch noch einige Flächen zu entziehen – dann sollte man an der Stelle die Chance nutzen, diese Flächen auch mit Blick auf Aufenthaltsqualität, Kulturveranstaltungen, Zusammenkommen von Menschen und Begegnungsmöglichkeiten zu qualifizieren. Wenn man die Menschen nicht mehr durch Shopping in die Innenstadt zieht, dann muss man Begegnungsräume schaffen, in denen sich die Menschen treffen können, die man vielleicht auch kulturell und künstlerisch bespielt.“

Marion Klemme

„Es war erstaunlich, wie die Menschen im Sommer 2020 den öffentlichen Raum zurückerobert und genossen haben.“

Kirsten Pfaue

Materialien
Was du jetzt direkt machen kannst

Übung: Unerhöhrte Raumnutzungen

Das braucht Ihr: Papier, Post-Its, Stifte

Neue räumliche Nutzungen zu ermöglichen, heißt: das Was mit dem Wo zusammen zu bringen. Startet dafür mit einer systematischen urbanen Inventur: Welche Räume stehen Euch in der Stadt zur Verfügung? Sichtet Stadtpläne, Karten, Pläne und Luftbilder, beobachtet Eure Umgebung bei einem Streifzug durch die Stadt, sprecht miteinander.

Step 1: Räume sammeln

Nehmt Euch fünf Minuten Zeit und schreibt – jede*r für sich – auf, welche Räume es in Eurer Stadt gibt. Denkt dabei an:

  • private Freiflächen, z.B. Brachflächen, unbebaute Gebiete, Gärten und Firmengelände
  • öffentliche Verkehrsflächen, z.B. Straßen, Gehwege, Parkplätze, Verkehrsinseln, Straßenbegleitgrün, Haltestellen des ÖPNV, Stadtplätze und Aufenthaltsflächen
  • öffentliche Grün- und Freiflächen, z.B. Parkanlagen, Sportplätze, Spielplätze, Badeplätze und Friedhöfe (vgl. zur Ortssuche bei Freiraumprojekten die Freiraum-Fibel des BBSR)

Überlegt Euch auch: Welche funktionierenden Orte gibt es in Eurer Stadt? Welche vergessenen Räume könnt Ihr wiederbeleben? Welche werden nur saisonal genutzt? Wo könnt Ihr temporär etwas ermöglichen? Wo ist der Flächenbedarf in der Pandemie gesunken? Welche Räume sind freigeworden?

Step 2: Ergebnisse vergleichen

Besprecht im Team, welche Räume Euch eingefallen sind. Übertragt sie auf Post-Its.

Step 3: Nutzungen sammeln

Im nächsten Schritt sammelt Ihr Angebote, die eine Stadt braucht. Das können Dienstleistungen, wie ein Friseurbesuch sein, die Möglichkeit, Sport im Freien zu treiben oder ein Stadtteilfest. Welche Möglichkeiten braucht eine Stadt? Was ist für Euch selbst essentiell? Welche Angebote haben eine hohe Hemmschwelle und werden deshalb nicht von allen in Anspruch genommen? Nehmt Euch wieder 5 Minuten Zeit und schreibt auf, was Euch in den Sinn kommt.

Step 4: Ergebnisse vergleichen

Besprecht im Team, welche Nutzungen Euch eingefallen sind. Übertragt sie auf Post-Its.

Step 5: Räume und Nutzungen kombinieren

Bringt nun die gesammelten Posts-Its an die Wand: Wie könnt Ihr die Räume und Nutzungen möglichst ungewöhnlich kombinieren? Ein Theaterstück auf dem Spielplatz? Eine Kinovorstellung im Supermarkt? Gärtnern auf der Verkehrsinsel? Warum nicht! Eine Vielzahl von Orten und Räumen kommt für Mehrfachnutzung infrage: Parkanlagen beispielsweise eignen sich nicht nur zum Flanieren, Fläzen, Sport treiben und Sonnenbaden. Istanbuls Stadtteil Beşiktaş hat in der Pandemie eine Anti-Stress-Kampagne auf den Weg gebracht, bei der Bürger*innen in Parks Yoga-Klassen besuchen oder auch kostenfreie Gespräche mit Psycholog*innen führen konnten – ein gutes Beispiel dafür, wie wir Räume multicodieren und zugleich Angebote mit hoher Hemmschwelle niedrigschwelliger gestalten können. Was auf den ersten Blick abwegig erscheint, kann den Weg zu urbanen Innovationen eröffnen.

Die Variante für Eilige

Wenn Ihr schnell in die Diskussion einsteigen möchtet, könnt Ihr als Grundlage die folgenden Räume und Nutzungsmöglichkeiten verwenden:

Räume

Büro, Park, Baulücke, Brachfläche, Verkehrsinsel, Uferfläche, Brücke, Straße, Gehweg, Parkplatz, Eisdiele, Restaurant, Club, Sporthalle, Schwimmbad, Garten, Sportplatz, Spielplatz, Stadion, Badesee, Friedhof, Kirche, Moschee, Synagoge, Haltestelle, Stadtplatz, Café, Hotel, Supermarkt, Theater, Kino, Galerie, Museum, Schule, Friseur, Bar, Wochenmarkt, Kosmetiksalon, Sauna, Kita, Bibliothek, Stadtteiltreff, Buchhandlung

Nutzungsmöglichkeiten

Kunstausstellung, arbeiten, essen gehen, Kaffee trinken, Psychotherapie, Festival, Konzert, Erwachsenenbildung, Musikunterricht, spazieren gehen, Sport treiben, Theaterstück, grillen, gärtnern, einkaufen, Dinge tauschen, Straßenfest, gemeinsam kochen, Bandprobe, ausgehen, tanzen, skateboarden, meditieren, Yoga, nähen, malen, einen Film schauen, Hausaufgabenhilfe, Radtour, Rikscha fahren, Karaoke, Rollschuhfahren, gemeinsam etwas reparieren